Psychische Gewalt in

form von Diskriminierung

in Schule & Beruf

Psychische Gewalt in Form von Diskriminierung am Arbeitsplatz, während der Ausbildung oder in der Schule hat für Betroffene nicht nur psychische und körperliche Folgen, sondern führt – aufgrund von Hierarchien und Machtgefällen – oftmals auch zu einer finanziellen Abhängigkeit und sozialer Isolation.

ein Text von Lisa Jureczko | Beitragsbild: Collage aus Portrait einer Unbekannten von Samuel Jessurun de Mesquita (1913) & Bully icon, beides via rawpixel.com

In ihrem Werk Don’t You Know Who I Am? beschreibt Dr. Ramani Durvasula, woran man Narzisst:innen im beruflichen Kontext erkennt: „Violation of the basic human rights of employees and disproportionate and very personal criticism (rather than constructive feedback).

Zwischenmenschliche Beziehungen mit Narzisst:innen, so auch im beruflichen oder schulischen Kontext, zeichnen sich durch einen sehr spezifischen Ablauf aus: zunächst glaubt man, es entstehe eine gesunde zwischenmenschliche Beziehung (lovebombing/grooming), basierend auf Zuspruch und Support. Zugleich wird die berufliche und nicht selten auch emotionale Abhängigkeit dadurch verstärkt. Betroffene vertrauen sich dem Gegenüber an, und legen immer mehr Wert auf die Meinung derjenigen, die hierarchisch gesehen eine Machtposition einnehmen. Sog. verdeckte Narzisst:innen agieren häufig von vornherein unter dem Deckmantel der Empathie und nehmen nicht selten die Rolle eines Mentors oder Coaches ein. Für Betroffene ist dies besonders fatal, denn der vermeintliche Support dient dem narzisstischen Gegenüber höchstens als Quelle der Bestätigung und Anerkennung (narcissistic supply). Narzisst:innen handeln nicht aus Nächstenliebe, sie helfen nicht, weil sie gerne Gutes tun. Narzisst:innen spielen Hilfsbereitschaft vor, um für ihre vermeintliche Güte gelobt, als „Retter:in“ gefeiert zu werden oder Mitmenschen zu kontrollieren:

Toxic bosses are never going to mentor you or built up your career. They may throw you opportunities here and there, but that is largely because those opportunities do not matter to them and doing so allows them to keep you under their control. It can be easy to get tricked by the crumbs that toxic bosses throw but, like all narcissists, at their core, they are pretty immovable. Many people believe that their years of devotion to a toxic boss will be rewarded; more often than not, you will wind up going down with the ship and be forgotten once the boss moves on to greener pastures.“, so Dr. Ramani Durvasula.

Betroffene werden klein gehalten

Betroffenen wird zudem durch ebendiese Täter:innen das Gefühl vermittelt, sie seien nicht gut genug, um ihre Leidenschaft zum Beruf zu machen oder nicht talentiert genug, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. Zugleich werden Konkurrenzsituationen zwischen Betroffenen und Arbeitskolleg:innen bzw. Kommiliton:innen oder Mitschüler:innen geschaffen (triangulation), die zu ungesunden Rivalitäten führen, Hierarchien begünstigen und Minderwertigkeitsgefühle fördern.

Missbrauchsopfer geraten oftmals schon im Schul- und Ausbildungskontext „in die paradoxe Situation, Hilfe bei den sie traumatisierenden Personen suchen zu müssen. Konstellationen, in denen Menschen in großer Abhängigkeit von der den Rassismus und/oder andere Gewalt ausübenden Person stehen, können Gefühle von Hilf- und Schutzlosigkeit und tiefgreifende traumatische Erfahrungen begünstigen. Den rassistischen Zuschreibungen sind auf Grund ihres Dualismus (von z. B. Exotisierung und Verachtung) ohnehin Doppelbödigkeit und Ambivalenz inhärent.“, erklärt die Psychologin Astrid Velho.

Je stärker die Selbstzweifel werden, desto eher versuchen Betroffene, den Ansprüchen der Täter:innen zu genügen. Doch diesen Kampf können Betroffene nur verlieren, denn die Anforderungen narzisstischer Täter:innen werden sie kaum erfüllen können. Wie hart jemand an sich und seinen Zielen arbeitet, ist dabei irrelevant. Narzisstische Manipulation und rassistische Diskriminierung können dazu führen, dass Menschen sich selbst und ihre Ambitionen verlieren.

Leere Worte & Luftschlösser – Wie Narzisst:innen Abhängigkeiten aufrechterhalten

Auch future faking spielt in diesen Situationen eine Rolle: in der Hoffnung, den nächsten großen Schritt auf der Karriereleiter machen zu können, vertraut man auf – letztendlich leere – Versprechungen. Bei kritisiertem Fehlverhalten wird derweil Besserung gelobt, und Betroffene werden mit vermeintlich ernst gemeinten Entschuldigungen abgespeist (breadcrumbing). Teil dieser zwischenmenschlichen Beziehungen ist die recht früh einsetzende mal mehr, mal weniger subtile Herabwürdigung der Betroffenen (im partnerschaftlichen Kontext spricht man von der sog. devaluation phase oder discard phase).

Diese Abwertung muss nicht zwangsläufig offensichtlicher verbaler Natur sein, auch vermeintliche Witze oder beiläufige Kommentare der Narzisst:innen sorgen für Verunsicherung und Selbstzweifel. Christiane Sautter spricht von einem Missbrauch, der „versteckt und leise“ abläuft, und sich darin zeigt, dass Betroffene nicht ernst genommen werden. Durch den ständigen Wechsel aus positiven und negativen Extremen, wird auch im Schul- bzw. Arbeitskontext dadurch ein starkes Abhängigkeitsverhältnis erschaffen (trauma bonding). Erfahren Betroffene ein konstantes Gaslighting werden sowohl Selbstzweifel als auch das (berufliche) Abhängigkeitsverhältnis intensiviert. Gaslighting zeigt sich, indem degradierende Aussagen durch die Narzisst:innen selbst entweder herunterspielt oder gar geleugnet werden. Betroffene werden vor allem dann retraumatisiert, wenn auch Mitmenschen die abwertenden Aussagen verharmlosen, sich auf die Seite der Täter:innen stellen oder mit Gleichgültigkeit reagieren. 

Von wegen empathisch! Wenn Lehrpersonen Vertrauen missbrauchen

Die Problematik liegt im Ausbildungs- und Schulkontext derweil nicht nur in diskriminierenden Äußerungen von Lehrer:innen bzw. Dozent:innen an sich und dem Ausnutzen der eigenen Machtposition, sondern auch in einem gravierenden Vertrauensbruch – denn Lehrende fungieren im Schüler-Lehrer-Verhältnis stets auch als Bezugspersonen. Aufgrund dieser Ambivalenz zwischen der Realität eines strukturell existenten Rassismus’ und der Idealvorstellung von empathischen, wohlwollenden und gerechten Lehrpersonen entsteht ein sog. Doublebind, „ein Kommunikationsmuster, in dem von einem Sender zwei widersprüchliche Botschaften ausgehen.“, so Sami Omar. Laut Dileta Fernandes Sequeira ist diese Art des Doublebinds tief verankert im deutschen Schulsystem: 

Das Herausstreichen [des] Andersseins wird unter Umständen auf einer netten oder humorvollen Ebene betrieben. Die Gesellschaft besitzt die Fähigkeit, in einer eigentlich beunruhigenden Situation so zu tun, als würde Rassismus nicht existieren, und verharmlost sie damit. So wird der Mythos der rassismusfreien Gesellschaft in Deutschland fortgesetzt. Der Weiße weiß, dass es reicht, ein Weißer zu sein, um die Macht des „Besser-Seins“ gegenüber MMMs/Schwarzen/POCs zu haben. Seine Identität beinhaltet aber auch „Nettsein“. Die Heuchelei, einerseits die nette Aufnahmegesellschaft zu markieren und andererseits MMMs/Schwarzen/POCs in einer gemeinen Art abzuwerten, ist schwerwiegend. Es wird einem MMM/Schwarzen/POC nicht ermöglicht, einen Alltag zu erleben, in dem er von Othering, Diskriminierung, Doublebinds oder Rassismus verschont bleibt. Die Wirksamkeit eines Doublebinds besteht in der Häufigkeit dieser Situationen, darin, dass diese Personen, die solche paradoxen Botschaften senden, wichtig oder notwendig sind, dass sie Macht / Autorität über andere haben und dass es für die Empfänger der Botschaften kein Entkommen gibt, weder in Form von Flucht oder Kampf noch in Form einer Metaebene. Auch Lehrer üben als Menschen in Autoritätspositionen diese Verletzungen der Menschenwürde in Form von rassistischer Gewalt aus.“ 

Widersprüchliche Kommunikation als Mittel der Verunsicherung

Konfliktsituationen mit Narzisst:innen resultieren nicht selten in ermüdenden Diskussionen, die Betroffene verunsichert und desorientiert hinterlassen. Dies liegt insbesondere daran, dass Aussagen narzisstischer Täter:innen oft unkonkret, vage und widersprüchlich sind – und somit viel zu viel Spielraum für Interpretation lassen (word salad). Doublebinds im Berufs- und Ausbildungskontext zeichnen sich dadurch aus, dass zwischen der Inhaltsebene (z.B. ein verunsicherndes „Du musst dich noch finden“, „Du bist gut, aber nicht gut genug“) und der weiteren Kommunikationsebene (ein vermeintliches Wohlwollen, Empathie oder Mitleid) ein Widerspruch besteht. Narzisst:innen erschaffen solcherlei ambivalente Situationen häufig, um die Abwertung der Betroffenen als etwas Positives darzustellen (frei nach dem Motto, die Degradierung diene als Herausforderung). Dies führt zugleich dazu, dass Betroffene ihr berechtigtes Misstrauen in Frage stellen.

Laut Dr. Ramani Durvasula sind der Erhalt solcher Machtstrukturen sowie der Machtmissbrauch selbst v.a. durch „enablers and yes-men“ möglich: „Some of these hangers-on are hoping for a big payout, or for the crumbs and perceived power they experience by being in proximity to a toxic leader. Some just get „grandiosity by proxy“ by being close to a powerful person.“ Narzisstische Manipulation betrifft also auch Menschen aus dem Umfeld des Opfers. Es wird Misstrauen erzeugt und das schon bestehende Machtgefälle weiter verstärkt. Dies resultiert häufig in einer ungewollten Ausgrenzung oder einem bewussten Rückzug der Betroffenen (isolation). Durch gezieltes Gaslighting gelingt es Täter:innen außerdem, bei Betroffenen enorme Schuldgefühle zu erzeugen. 

Wenn berechtigte Wut abgeschmettert wird

Insbesondere Schwarze Frauen und Women of Color riskieren es, in solchen Konfliktsituationen mit weiteren kolonialrassistischen Stereotypen konfrontiert zu werden. Eine zentrale Rolle nimmt hier das Bild der sog. „Angry Black Woman“ ein. Durch dieses Stereotyp wird gerechtfertigte Wut in Situationen der Benachteiligung herabgewürdigt, denn es karikiert Schwarze Frauen, die gegen Unrechtmäßigkeiten aufbegehren, als hysterisch und aggressiv. Vielen Betroffenen wird erst lange Zeit später bewusst, was tatsächlich passiert ist, insbesondere, wenn die Diskriminierung und der Missbrauch auf eine subtile Art und Weise stattfanden, und sich über Monate oder gar Jahre erstreckten. 

Wer versucht, Konflikte mit Narzisst:innen zu klären, muss nicht nur mit Gaslighting rechnen, sondern auch mit anderen manipulativen Taktiken, beispielsweise cliff-hanging oder stonewalling. Täter:innen lassen ihre Opfer dann bewusst und gewollt auf Antworten und wichtige Informationen warten, ignorieren Konflikte, melden sich mitunter aber wegen Belanglosigkeiten. Denn psychische Gewalt – und somit auch rassistische und sexistische Gewalt – stehen immerzu in Zusammenhang mit dem Ausüben von Kontrolle und Macht.

Q U E L L E N

Ramani Durvasula, Don’t You Know Who I Am?, 2019

Ramani Durvasula, Gaslighting Tribe. How other people empower the narcissist by doubting your reality, Psychology Today, 2018

Ramani Durvasula & Andreas Roberts, Was Rassismus mit Narzissmus zu tun hat, 2020

Dileta Fernandes Sequeira, Gefangen in der Gesellschaft – Alltagsrassismus in Deutschland. Rassismuskritisches Denken und Handeln in der Psychologie, 2015

Lacey Johnson, These Are the Telltale Traits of a Narcissist, Oprahdaily.com, 2022

Encyclopedia.com, Traumatic Bonding,  International Encyclopedia of the Social Sciences, 2023

Bahaudin Mujtaba, Workplace Mobbing and the Role of Human Resources Management, Business Ethics and Leadership, Vol. 4.1, 2020

Sami Omar, Verlogenheit der Debatte um den Integrationswillen, Migazin, 2017

Olivia Perlow, Gettin’ Free. Anger as Resistance to White Supremacy Within and Beyond the Academy, in: Olivia Perlow, Durene Wheeler, Sharon Bethea, BarBara Scott (Hrsg.), Black Women’s Liberatory Pedagogies: Resistance, Transformation, and Healing Within and Beyond the Academy, 2018

Christiane Sautter, Emotionale Gewalt und ihre traumatischen Folgen, 2018

Emily Torres, How to tell if you’re being ‘breadcrumbed’ at work, BBC.com, 2019

Astride Velho, Auswirkungen von Rassismuserfahrungen auf die Gesundheit, das Befinden und die Subjektivität. Ansätze für eine reflexive Berufspraxis, in: Alltagsrassismus und rassistische Diskriminierung Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit, AMIGRA, 2010, S. 12-39

Skip to content