HEILEN NACH NARZISSTISCHEM MISSBRAUCH – COACHING- & THERAPIEMETHODEN

Betroffene und Überlebende von psychischer Gewalt und narzisstischem Missbrauch können diverse Therapiemethoden in Anspruch nehmen, um traumatische Erfahrungen zu verarbeiten. In diesem Artikel erklären wir, wodurch sich die einzelnen Methoden auszeichnen und worauf ihr bei der Therapeut:innen-Wahl achten solltet.

ein Text von Lisa Jureczko | Beitragsbild: Lisa Jureczko, Mythenkontrolle, Digital Collage

Was hilft mir persönlich am besten? Was passt zu meinem Lebens- und Persönlichkeitsstil? Worauf sollte ich bei der Therapeut:innen-Wahl achten? All diese Fragen können für Personen, die sich noch in einer narzisstischen Beziehung befinden oder diese gerade erst verlassen haben, überfordernd und beängstigend sein – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Therapeut:innen-Suche aufgrund des Therapieplatzmangels selbst ein unfassbar langwierig Prozess sein kann. Hinzukommt, dass Betroffene von psychischer Gewalt häufig in Frage stellen, ob ihnen ein Therapieplatz überhaupt zusteht, insbesondere wenn die traumatischen Erfahrungen vom nahen Umfeld verharmlost werden. Dieser Artikel soll Überlebenden dabei helfen, sich einen Überblick über Coaching- und Therapiemethoden zu verschaffen und die Wahl einer Therapieform zu erleichtern.

(Kognitive) Verhaltenstherapie

Bei einer (kognitiven) Verhaltenstherapie erfolgt eine Betrachtung des Traumas und der damit verbundenen Ängste aus der Entfernung, d.h. es wird kein tiefenpsychologischer Ansatz verfolgt. Eine solche Therapie kann dazu verhelfen, Ängste besser zu regulieren. Grundsätzlich ist eine KVT problemorientiert und zielt darauf ab, akute und gegenwärtige Probleme zu lösen. Verganene Geschehnisse stehen nicht unbedingt im Fokus, viel eher jedoch fest verankerte Denkmuster und Verhaltensweisen. Oftmals bleibt es bei einer Gesprächstherapie und körperbasierte Ansätze werden nicht integriert

Aber Vorsicht: Eine Verhaltenstherapie kann insbesondere dann re-traumatisierend sein, wenn behandelnde Therapeut:innen nicht traumasensibel agieren und die Schuld für den Missbrauch in Verhaltensweisen von Betroffenen sehen. Zudem sind die Möglichkeiten einer solchen Gesprächstherapie nur begrenzt und diese kann mitunter dazu führen, dass Betroffene ihre mit dem Trauma verbundenen Ängste wiederholen, die Therapie ein Äquivalent zu den ansonsten nicht nach außen getragenen Gedankenspiralen bildet (Rumination) und es mitunter sogar zu Flashbacks kommt. Im schlechtesten Fall bedeutet das eine weitere Re-Traumatisierung im therapeutischen Kontext.


Emotionsfokussierte Therapie

Eine emotionsfokussierte Therapie soll Betroffenen dabei helfen, die eigenen Emotionen zuzulassen, besser zu verstehen und ggf. neu einzuordnen. Ziel ist es, die emotionale Intelligenz von Patient:innen zu verbessern und einen besseren, konstruktiveren Umgang mit den eigenen Emotionen zu erlernen.

Systemische Therapie bzw. Systemisches Coaching

Eine systemische Therapie bzw. ein systemisches Coaching betrachtet die Patient:innen sowie das System (sei es bspw. die Familie, der Freundeskreis oder das berufliche Umfeld) und die Rollenverteilung der einzelnen Akteur:innen. Geht man systemisch vor, können andere Parteien auch in die einzelnen Therapiesitzungen involviert werden, was jedoch bei narzisstischem Missbrauch nur bedingt zu empfehlen ist. Eine Therapie zusammen mit Narzisst:innen ist NIE zu empfehlen, da diese es allzu oft schaffen, auch Therapeut:innen zu manipulieren. Systemische Therapie- und Coachingansätze können auch nur mit der betroffenen Person selbst umgesetzt werden, indem das System durch Gegenstände visualisiert wird und Therapeut:innen bzw. Coaches die richtigen Fragen stellen (z.B. „Welche Rolle übernimmt X?“, „Wie fühlst du dich, wenn X so handelt?“, „Welche Reaktion hättest du von Y erwartet?“ usw.) 

Tiefenpsychologisch fundierte Therapie

Tiefenpsychologische Therapiemethoden können Betroffenen dabei helfen, traumatische Erlebnisse der Vergangenheit und deren Auswirkungen auf die Gegenwart zu verstehen und zu verarbeiten. Mithilfe einer analytischen Betrachtungsweise wird nach den Ursachen und Zusammenhängen für bestehende Probleme gesucht. Dabei werden auch die Erlebnisse und daraus resultierende Emotionen aus der Kindheit und Jugend der Patient:innen nicht außer Acht gelassen. Tiefenpsychologische Ansätzen können mitunter auch erkenntnissreich sein, was psychosomathische Auswirkungen von Trauma auf Körper und Geist betrifft, beispielsweise wenn Personen bestimmte Verhaltensweisen an den Tag legen und Betroffene aufgrund der unterbewusst verankerten Erinnerungen an Vergangenes mit körperlichen Symptomen wie Magenschmerzen oder Angstzuständen auf aktuelle Erlebnisse reagieren. Eine tiefenpsychologische Therapie kann für die Einen sehr viele Aha-Erlebnisse bieten, für die Anderen wiederum kann es enorm aufwühlend und re-traumatisierend sein, sich so konfrontativ mit den eignen Traumata zu befassen.

Körperpsychotherapie

Die Körperpsychotherapie umfasst verschiedene therapeutische Methoden, die auf der Idee basieren, dass Körper und Psyche eine untrennbare Einheit ausmachen. Körperbasierte Psychotherapiemethoden haben meist auch eine tiefenpsychologische Ausrichtung und bilden einen Versuch, (unbewusste) psychische Prozesse (also beispielsweise auch Ängste und Traumata) anhand von körperlichen Empfindungen aufzuschlüsseln.

Eye Movement Desensitization and Reprocessing Therapy (EMDR)

Die sog. EMDR Therapiemethode ist besonders geeignet für Patient:innen mit Posttraumatischer Belastungsstörung. Bei dieser Therapieform werden die traumatischen Erlebnisse zunächst besprochen und analysiert. Daraufhin begeben sich Patient:innen gedanklich in die jeweilige traumatische Erfahrung, während die EMDR-ausführenden Therapeut:innen einen Finger von links nach rechts bewegen und die Patient:innen mit den Augen der Bewegung folgen. Während der Bewegung führen die Therapeut:innen Betroffene achtsam durch die Erinnerungs- und Gefühlswelten. Dadurch soll eine Abspaltung der Bilder von den damit verbundenen negativen Emotionen ermöglicht werden und zukünftigen Flashbacks vorbeugen. Die Patient:innen sind bei dieser Therapieform eher passiv. EMDR muss gut in ein therapeutisches Setting eingeordnet sein, falls es bei Betroffenen während der Therapiesitzung zu Flashbacks kommt.

Klopftherapie

Die Klopftherapie ist eine körperbasierte und emotionsfokussierte Therapiemethode, die Betroffene selbst erlernen und anwenden können. Dabei können durch Klopfen auf bestimmte Körperstellen Ängste und Stress gelöst werden. Die Patient:innen sind bei dieser Therapieform somit selbst aktiv, dadurch wird diese Methode als selbst-empowernd wahrgenommen. Die Klopftherapie wird aufgrund der einfachen und schnellen Umsetzung beispielsweise in Geflüchtetenunterkünften angewandt, da es dort an anderen Therapiemöglichkeiten mangelt. 

Breathwork

Breathwork bezeichnet das Arbeiten mit diversen Atemübungen und -techniken, bei denen durch die Nutzung verschiedener Atemfrequenzen Stress und Ängste gelöst werden können. Breathwork Sessions können sowohl geführte Gruppenübungen sein, oder auch individuell im Alltag integriert werden. Oftmals vereinen Breathwork Sessions Yoga- und Meditations-Elemente

Kunsttherapie

Alle kunsttherapeutischen Ansätze vereint, dass Patient:innen selbst kreativ werden, sei es durch handwerkliches Schaffen, Musik oder Malerei. Eine Kunsttherapie kann vor allem für Personen interessant sein, die (noch) nicht über traumatische Erlebnisse sprechen können oder wollen. Als non-verbale Therapieform ermöglich sie dennoch eine emotionale Auseinandersetzung mit den eigenen Erlebnissen und Gefühlen sowie eine neue Einordnung und im Optimalfall auch Bewältigung dieser – und all das ohne eine Bewertung von außen. Kreative Therapiemethoden, die nicht direkt mit dem bestehen Problem arbeiten, können dennoch eine „corrective experience“ darstellen: durch neue, kreative Erfahrungen in einem geschützten Raum entstehen durch das direkte Erleben des kreativen Prozesses neue neuronale Verbindungen, die Betroffenen Türen öffnen, um sich selbst und das Geschehene mit einer gewissen Leichtigkeit und Kuriosität zu erforschen.

Worauf sollten Betroffene achten, wenn sie eine Therapie beginnen?

Das Wichtigste ist eine gute Beziehung zur therapierenden Person. Ob nun Therapeut:in, Psycholog:in, Coach, Heilpraktiker:in – das entscheidende ist, wie ihr euch bei der Person fühlt und ob diese euch ernst nimmt. Kompetente und empathische Therapeut:innen bilden sich regelmäßig fort, und integrieren mehrere Ansätze in den therapeutischen Prozess. Zudem solltet ihr insbesondere dann, wenn ihr narzisstischen Missbrauch erlebt habt, schon im Vorhinein nachhaken, ob euer Gegenüber sich mit dem Thema “Narzissmus” auskennt: sind die Abläufe einer solchen Beziehung bekannt? Wird psychische Gewalt als Gewalt anerkannt? Wird Schuldumkehr oder Täterschutz betrieben, bspw. indem euch eine Mitschuld am Missbrauch vorgeworfen wird? Diese Fragen sind zwar unangenehm, können euch aber eine Re-Traumatisierung durch Therapeut:innen ersparen.

Eine optimale Therapie mit dem Schwerpunkt auf der Verarbeitung von Traumata sollte individuell auf das Erlebte und die Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen zugeschnitten sein. Grundsätzlich sollte eine Traumatherapie intersektional und systemisch ausgelegt sein, also auch andere Diskriminierungs- und Gewaltformen sowie das System, in dem sich die betroffene Person bewegt, mitdenken. Denn es gibt keine „one size fits all“ Lösung, wenn es um Trauma-Arbeit geht. 

Zudem sollten Betroffenen auch Lösungswege an die Hand gegeben werden, die sie im Alltag integrieren können, sei es beispielsweise Methoden wie Grey Rocking, wenn ein Kontaktabbruch oder Jobwechsel nicht möglich ist und Betroffene die jeweiligen Täter:innen weiterhin im Alltag antreffen müssen. Auch Atem- und Entspannungsübungen, die für Außenstehenden nicht erkennbar sind, können im Alltag umgesetzt werden, sodass Provokationen durch Narzisst:innen beispielsweise mit einer gewissen Gleichgültigkeit und Gelassenheit abgeschmettert werden können. Wichtig können zudem auch Aktivitäten sein, in die die narzisstischen Personen weder involviert sind und von denen sie auch nichts wissen. Diese sollten in den Alltag integriert werden, um so die eigene Resilienz und den (verlorenen) Selbstwert zu steigern

Therapie oder Coaching können im übertragenen Sinne auch als kreativer Prozess der Selbstermächtigung verstanden werden, denn Betroffene und Überlebende können durch die entsprechenden Tools die eigene Zukunft kreativ gestalten, individuelle Lösungswege finden und mit dem Erkennen der vorhandenen Ressourcen auch die eigene Resilienz für schwere Zeiten stärken.

Ihr – oder jemand, den ihr kennt – seid von Missbrauch betroffen, braucht akut Hilfe und sucht Anlaufstellen im deutschsprachigen Raum? Dann schaut auf dieser Seite vorbei, wo wir offizielle Anlaufstellen listen. Dort findet ihr Hilfsangeboten in verschiedenen Regionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Diese Infos könnt ihr euch abspeichern oder an Missbrauchsopfer weiterleiten.

Q U E L L E N

Gesundheitsinformation.de, Verstehen, Abwägen, Entscheiden, Kognitive Verhaltenstherapie

Christian Heinrich, Traumatherapie: So funktioniert EMDR

Julia Klinkusch, Klopftherapie: Welche Wirkung hat das Tappen?

Rebecca Malherbe, Breathwork: 4 Wirkweisen von Atemtechniken

Fritz Propach, Kunsttherapie. Erschließung nichtkommunizierbarer Lebenswelten

Fritz Propach, Tiefenpsychologie. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP)

Skip to content