rassismus ist

psychische gewalt

Rassistische und psychische Gewalt sind eng miteinander verknüpft. Die körperlichen und seelischen Folgen von Rassismus und Missbrauch ähneln sich daher weitestgehend. Wer die Gründe für Rassismus verstehen will, der muss sich nicht nur mit historischen Ereignissen und gesamtgesellschaftlichen Aspekten, sondern auch mit Narzissmus befassen.

ein Text von Lisa Jureczko | Beitragsbild: rawpixel.com

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Narzissmus fälschlicherweise hauptsächlich mit Selbstverliebtheit in Verbindung gebracht. Influencer:innen, Körperkult und das Streben nach möglichst vielen Follower:innen mögen vielleicht auf narzisstische Charakterzüge einer Person hinweisen – doch Narzissmus ist mehr als das. Narzissmus zeigt sich in einem Mangel an Empathie. Narzisst:innen handeln bewusst überheblich, herabwürdigend, rücksichtslos und manipulativ. Narzisstischer Missbrauch hat viele Formen – die alle tief verankert sind in unserer Gesellschaft. Denn Rassismus, Sexismus, Exotismus sowie andere Arten der Diskriminierung basieren auf Überheblichkeit und Herabwürdigung. Wer Diskriminierung erfährt, der erfährt zugleich psychische Gewalt.

Diese Gewalt hat gravierende Folgen für Betroffene, sowohl seelisch als auch körperlich: Depressionen & PTBS, Pseudodemenz, Schlafstörungen, extreme Gewichtsschwankungen, chronische Schmerzen (Fibromyalgie) bis hin zu Suizidgedanken und -versuchen. Betroffene von (Anti-Schwarzem) Rassismus und Sexismus, die alltäglich emotional missbraucht, verbal diskriminiert oder gar körperlich angegriffen werden, leiden aufgrund dessen überproportional häufig an Depressionen, PTBS und Angstzuständen. 2010 schrieb die Psychologin Astride Velho über die Einstufung rassistischer Gewalt als Trauma und die entsprechenden Parallelen zu anderen Formen der Gewalt: „Diese gesellschaftlich legitimierten und individuell, institutionell, strukturell, medial verübten Taten gelten zumeist nicht als Ungerechtigkeiten, Diskriminierungs- oder Gewaltakte, sondern als unhinterfragte Normalität, als natürlich bedingte Realitäten.“

Rassismus – ein generationenübergreifendes Trauma

Laut Velho könne man Analogien ziehen „zu der Definition des kumulativen Traumas: Kumulatives Trauma, als „eine Abfolge von traumatischen Ereignissen oder Umständen, die in ihrer zeitlichen Abfolge und Häufung die restitutiven Kräfte des Ich so sehr schwächen, dass insgesamt eine oft sogar schwertraumatische Verlaufsgestalt entsteht. Immer von neuem wird die ‚Erholungsphase’ unterbrochen. Rassismuserfahrungen zeichnen sich durch ihre Permanenz, Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit aus. Die Erfahrungen können in ihrer Summe, auch wenn es nicht um offen gewaltvolle Erfahrungen geht, zu einer Belastung werden, die nicht mehr konstruktiv bewältigt werden kann. Erholung kann auf Grund der Permanenz und des sozialen Klimas, das die Gewaltförmigkeit nicht anerkennt, schwierig oder unmöglich sein. Bryant-Davis/Ocampo ziehen in ihrer Studie Parallelen zwischen anerkannten Traumata, z. B. durch Vergewaltigung oder häusliche Gewalt und multiplen Formen rassistischer Übergriffe. Carter beschreibt, dass Rassismuserfahrungen als kritische Lebensereignisse wirken können und traumatischen Stress verursachen. In diesem Zusammenhang sieht er auch die allgemein in der US-amerikanischen Forschung bei People of Color ermittelte überdurchschnittliche Häufigkeit von Symptomen, die mit denen der Posttraumatischen Belastungsstörung identisch sind.“

Sowohl von emotionalem Missbrauch als auch von Rassismus betroffene Menschen erhalten häufig Fehldiagnosen

Aufgrund mangelnder Aufklärung und einem auf weiße Menschen ausgelegten patriarchalen Gesundheitssystem werden psychische und rassistische Gewalt sowie ihre Auswirkungen entweder nicht erkannt oder schlicht und ergreifend nicht ernst genommen. 2015 thematisierte Dileta Fernandes Sequeira diese Problematik: „Es gibt wenig psychologisches oder psychotherapeutisches Verständnis in Deutschland davon, was es heißt, Rassismuserfahrungen ausgesetzt zu sein (…). Rassismuserfahrungen können durch weiße Psychologie nicht erfasst werden, da Basiskenntnisse fehlen und selbst Rassismus, ganz zu schweigen von seinen Nachwirkungen, geleugnet wird. Es gibt wenige Kenntnisse über die traumatisierende Wirkung von Rassismus in der deutschen Gesellschaft, die andere Gewaltformen sehr wohl studiert – solche, die sie ernst nimmt.“ 

Dies zeigt sich u.a. in der Pathologisierung von Betroffenen, die in Therapiesituationen mit Schuldzuweisungen und Gaslighting konfrontiert werden, so Araba Evelyn Johnston-Arthur. Auf (außen-) politischer Ebene kritisierte man schon vor zwölf Jahren, dass Rassismus und von ihm betroffene Menschen in Deutschland nicht ernst genommen werden. Modupe Laja schrieb darüber vor einem knappen Jahrzehnt: „Die Europaratskommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), der Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen (CERD) sowie der UN-Sonderberichterstatter gegen Rassismus im UN-Menschenrechtsrat, beanstanden in ihren seit 2008 veröffentlichten neuesten Deutschlandberichten das mangelnde Vorgehen des Staates gegen Rassismus. Sie beziehen sich dabei nicht nur auf den alltäglichen sondern ebenso institutionellen Rassismus im sozialen Umfeld, in der Arbeitswelt, im Erziehungswesen und in der Rechtsprechung (mangelnde Strafverfolgung von rassistischen Handlungen). Die Kommission legt nahe, den strafrechtlichen Rahmen auf „Hassdelikte“ auszuweiten. Der UN-Ausschuss findet die „Versäumnisse“ in der deutschen Politik und Gesellschaft sogar besorgniserregend.

Die Folgen rassistischer Gewalt

Der Teufelskreis aus anhaltendem Missbrauch, zu wenigen adäquaten Anlaufstellen sowie gesellschaftlich etabliertem Victim Blaming resultiert für viele Betroffene derweil häufig in einem drastischen Nachlassen schulischer Leistungen, langjähriger Arbeitsunfähigkeit, einem Rückzug aus dem sozialen Umfeld sowie der Aufgabe einstiger Lebensträume und Interessen. Dieser Teufelskreis und seine Auswirkungen gehören zur Lebensrealität zahlreicher, junger, Schwarzer Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte. Denn insbesondere Schwarze Menschen und People of Color sind von Mehrfachdiskriminierung betroffen, und unsere Gesellschaft macht es ihnen umso schwerer, aus diesem Teufelskreis herauszubrechen.

Psychische Gewalt erfahren Betroffene auch dann, wenn sie mit den eigenen Rassismus- und Missbrauchserfahrungen an die Öffentlichkeit gehen: oftmals raten auch Menschen aus der eigenen Community davon ab, die Geschehnisse öffentlich zu machen, Freund:innen oder Familie zeigen sich nicht solidarisch, Journalist:innen reagieren mit Gleichgültigkeit und Desinteresse.

Unsere Gesellschaft ist rassistisch – weil sie narzisstisch ist

Will man rassistische Diskriminierung aus psychologischer Sicht verstehen, kommt man nicht umhin, sich mit Narzissmus und narzisstischem Missbrauch zu befassen. In einem Gespräch mit Deutschlandfunk wies die amerikanische Psychologin Dr. Ramani Durvasula erst kürzlich auf die Parallelen zwischen Narzissmus und Rassismus hin: 

Was sind die Kernelemente des Narzissmus? Mangel an Empathie, Arroganz, Egozentrik, Überlegenheitsgefühle, die Behauptung, man selbst sei Opfer. Dazu kommt das Gefühl von ständiger Opposition und das Bedürfnis, den Status Quo zu erhalten; sehr eigennützig, nicht wahr? Und genau darauf beruht auch Rassismus: der völlige Mangel an Empathie für den anderen, es fehlt jegliches Bewusstsein für die Bedürfnisse anderer, es gibt nicht einmal den Versuch, sich in andere hineinzuversetzen. Narzissten haben die Arroganz zu sagen: Ich verdiene, was ich habe, aus was auch immer für Gründen mehr als du. Das sind dieselben Gefühle von Überlegenheit und Opferrolle, sehr ähnliche Prinzipien, sehr ähnliche Persönlichkeitsstrukturen.

Der Umgang mit Betroffenen und Überlebenden von Rassismus und Missbrauch zeigt, wie präsent Manipulation auch im beruflichen und medialen Kontext ist. Rassismus und Narzissmus durchziehen unsere Gesellschaft, und es erfordert Mut der Betroffenen, Selbstreflexion von Enabler:innen und ein Zur-Rechenschaft-Ziehen von Täter:innen, um diese Strukturen zu durchbrechen:

Rassismus anerkennen heißt, Rassismus in der Mehrheitsgesellschaft und in sich selbst erkennen. Dies anzuerkennen würde bedeuten, die koloniale Basis für die Entstehung der falschen weißen Überlegenheit und des damit verbundenen Privilegs sowie die Legitimation für die globale Aufwertungen des Weißen zu durchschauen. Es würde bedeuten, einen Teil des eigenen in Rassismus verstrickten Seins zuzugeben und den damit verbundenen Schmerz zu fühlen. Das Erkennen legitimierter Verletzungen der Menschenwürde, die durch Strukturen und Personen ausgeübt werden, fordert eine Empathiefähigkeit, die in der weißen Sozialisation ausgeblendet wird.“, so Dileta Fernandes Sequeira.

Q U E L L E N

Ramani Durvasula & Andreas Roberts, Was Rassismus mit Narzissmus zu tun hat, 2020

Araba Evelyn Johnston-Arthur, “Rassismus ist ein unbenannter Stressfaktor“, in: Migrazine 2009/2

Dileta Fernandes Sequeira, Gefangen in der Gesellschaft – Alltagsrassismus in Deutschland. Rassismuskritisches Denken und Handeln in der Psychologie, 2015

Astride Velho, Auswirkungen von Rassismuserfahrungen auf die Gesundheit, das Befinden und die Subjektivität. Ansätze für eine reflexive Berufspraxis, in: Alltagsrassismus und rassistische Diskriminierung Auswirkungen auf die psychische und körperliche Gesundheit, AMIGRA, 2010, S. 12-39

 

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